Geschichte
Der «Zusatzchor Opernhaus Zürich»
Am 5. April 1993 ging im Zürcher Zunfthaus zur Schmiden ein für die Geschichte des Opernhauses markantes Ereignis vor sich: die Gründung des «Zusatzchors Opernhaus Zürich». Die Beziehungen zwischen dem Opernhaus und diesen Chören, welche in zahlreichen seiner Vorstellungen mitwirkten, wurden damit auf eine neue, solide Basis gestellt.
Chöre als Verstärkung des Berufschors gibt es in Zürich beinahe so lange wie das Stadttheater selber, denn um die Wende zum 20. Jahrhundert war der Berufschor noch viel kleiner als heute. Als 1904 die Aufführung einer Reihe von Werken Richard Wagners geplant wurde, sah man sich genötigt, eine Anzahl Sänger beim lokalen Lehrergesangsverein «auszuleihen». Die Teilnahme an Vorstellungen des Stadttheaters wurde in diesem Konzertchor so beliebt, dass bald ein eigener Zweig, der «Theater-Lehrerchor», gegründet wurde.
Konsolidierung unter Erich Widl
Ein weiterer wichtiger Schritt wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Gründung einer hauseigenen Chorschule vollzogen, woraus in der Folge der «Extrachor» entstand. Lange Zeit existierten beide Vereine nebeneinander und erfüllten unterschiedliche Aufgaben. Der «Theater-Lehrerchor» trat traditionsgemäss etwa in Wagneropern auf, der «Extrachor» bewältigte dagegen neben einigen Opern auch ein immenses Repertoire an Operetten, die damals fast die Hälfte des Spielplans ausmachten, und trat darin oft als selbständiges Ensemble auf. Das grösste Gepräge gaben den Chören Hans Erismann, der 37 Jahre am Stadttheater Chordirektor war, und Alexander Federscher, einige Jahre Chordirektor und danach, neben seiner Tätigkeit als Ballettkorrepetitor, Leiter des «Extrachors».
Die Jahre unter Erich Widl (1977-1990) brachten den Chören einige Höhepunkte sowie eine gewisse Konsolidierung des Betriebs. Die Vereine begannen nunmehr gemeinsam zu proben, wobei die Sängerinnen und Sänger in einer Produktion stets paritätisch geteilt eingesetzt wurden. Zu den Höhepunkten dieser Jahre gehörten unterschiedlichste Auftritte wie im Hallenstadion die Massenszenen in «Boris Godunow» (auf Russisch…), im Kongresshaus die halbszenische, musikalisch sehr anspruchsvolle «Jeanne d’Arc au bûcher» oder die kleine, aber feine «Engelberger Talhochzeit», mit der (auf Schweizerdeutsch…) durch die entferntesten Winkel unseres Landes getingelt wurde. Gerne erzählte man sich auch von den wunderbaren Gastspielen mit «Carmen» im Herodes Atticus-Theater Athen und an der Semperoper Dresden.
Längere Partien, unregelmässigere Proben
Durch verschiedene auswärtige Produktionen und Grossveranstaltungen im Hallenstadion während der Umbauzeit des Opernhauses wurden die beiden Vereine beträchtlich aufgewertet und erhielten einen Zustrom an neuen Sängerinnen und Sängern. Für das Hallenstadion wurde jeweils sogar ein dritter, nicht als Verein organisierter Chor eingesetzt. Seit der Wiedereröffnung des Opernhauses 1984/85 stiegen die Anforderungen an die einzelnen Mitglieder der Chöre beständig. Die Partien wuchsen, während die Probenzeit sehr kurz und vor allem unregelmässig blieb. Auch die Regie wurde immer anspruchsvoller (in Robert Wilsons «Lohengrin», zum Beispiel, wurde jedem Chorsänger zentimetergenau sein persönlicher Platz auf der Bühne zugewiesen). Immer wieder wurden Sänger und Sängerinnen gezielt in sehr kleinen Gruppen eingesetzt («Mathis der Mahler»). Neben grösster Flexibilität im Privat- und Berufsleben mussten die daneben voll berufstätigen Mitglieder der Vereine also einige stimmliche und darstellerische Qualitäten vorweisen.
Um diesen neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, bemühten sich der neue Chordirektor Karl Kamper und sein Nachfolger, Jürg Hämmerli, die Verhältnisse in den Chören zu verbessern und gleichzeitig auch die Qualität der Ensembles zu steigern. Auch von den Vereinen waren Vorstösse unternommen worden, um durch die Zusammenlegung der Chöre einfacher und dynamischer arbeiten zu können. In den letzten Jahren bestanden ja fast nur noch formelle Unterschiede zwischen den beiden. Nach fast zweijährigen Verhandlungen der Vereine unter sich, mit der Intendanz und der kaufmännischen Direktion des Opernhauses konnten am besagten 5. April den Mitgliedern beider Vereine endlich die Verträge zur Abstimmung vorgelegt werden, nach deren Annahme der Gründung eines einzigen Zusatzchores am Opernhaus Zürich nichts mehr im Wege stand.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Vereinbarungen zwischen dem Opernhaus und den Vereinen zum ersten Mal überhaupt schriftlich festgehalten wurden! Dies wurde im Anschluss an die Gründungsversammlung mit einem Abendessen gefeiert, und der anwesende kaufmännische Direktor des Opernhauses, Jürg Keller, überbrachte als «Ehestifter» die ersten Glückwünsche an den neugeborenen Chor, die der frisch gewählte Präsident, Peter Bürki, freudig entgegennahm.
Während der «Theater-Lehrerchor» und der «Extrachor» in ihrer letzten Spielzeit noch eine dankbare neue Aufgabe, das Autodafé in der Neuinszenierung von «Don Carlo», und dazu die Paradepartien in «La Bohème», «Lohengrin» und «Carmen» wahrnehmen durften, nahm der neue Verein, der «Zusatzchor Opernhaus Zürich», gleich zu Beginn der Spielzeit 1993/94 seine Tätigkeit mit «Macbeth» und «Lohengrin» auf. Geleitet wurde der Chor seitdem von den beiden Chordirektoren des Opernhauses Jürg Hämmerli und Ernst Raffelsberger.
25 Jahre «ZOZ»
Während der Intendanz Pereira wuchs der Spielplan des Opernhauses Zürich gewaltig und damit auch das Tätigkeitsfeld des «ZOZ». Produktionen, in denen der Chor ohne Hauschor zu erleben war, wurden zur Regel – darunter mehrere Inszenierungen von «Il Barbiere di Siviglia», «Tristan und Isolde» sowie «Rusalka», beispielsweise auch anlässlich des 10. Todestags von Jean-Pierre Ponnelle Mozarts «Lucio Silla» unter Nikolaus Harnoncourt oder «Madame Sans-Gêne» mit Mirella Freni. Eine grosse Herausforderung für Körper und Geist war Borodins in kürzester Zeit einstudierte, riesige Oper «Fürst Igor», in der alle Chöre des Opernhauses Zürich gemeinsam mitwirkten.
Mit der Zeit wurde der «ZOZ» auch in diversen Philharmonischen Konzerten mit Werken von Verdi, Rossini, Mahler und Beethoven sowie in populären Balletten wie «Peer Gynt» oder «Daphnis et Chloé» auf und hinter der Bühne eingesetzt. Neben den regelmässigen Ausflügen Anfang Saison nach Winterthur erfolgten auch in dieser Zeit denkwürdige Gastspiele, unter anderem im Théâtre du Jorat in Mézières, wiederholt in der Royal Festival Hall, London, sowie in Verona und Montreux. Regelmässig wurden Produktionen unter Teilnahme des «Zusatzchor Opernhaus Zürich» vom Fernsehen aufgezeichnet und auf DVD herausgegeben.
Nach der Pensionierung von Peter Bürki standen dem Verein Claudia Cuche-Curti, Göran Kinell sowie – bis heute – Paul Votruba als Präsidentin bzw. Präsidenten vor.
Nach einem über 20 Jahre relativ konstanten Wachstum an abwechslungsreichen Diensten und einem sich beständig erneuernden Repertoire bahnten sich für den Chor zwei einschneidende Veränderungen an: der Beginn der neuen Ära Homoki ab 2012 sowie die Pension des Chordirektors Jürg Hämmerli.
Neben der Pflege des bestehenden Repertoires in Neuinszenierungen und Wiederaufnahmen sang der «ZOZ» am Ende der ersten Spielzeit der Intendanz von Andreas Homoki unter der Leitung von GMD Fabio Luisi in Schumanns «Das Paradies und die Peri» mit. Die Teilnahme am Eröffnungsfest zu Beginn einer neuen Saison, zuletzt in Form des 400köpfigen Chors, gehört inzwischen zur Ehrensache. Eine hochinteressante Aufgabe war die Tonaufnahme der Geräuschkulisse (Geschrei, Gelächter, Gemurmel u.ä.) für Rihms «Hamletmaschine». Zu beliebten Wiederaufnahmen wie die vom «ZOZ» allein bestrittenen «Così fan tutte»-Serien in Winterthur und Zürich sowie «Le comte Ory» mit Cecilia Bartoli kamen zwei musikalisch wie szenisch unvergessliche Momente: die Première von «Macbeth» unter Teodor Currentzis sowie 10 Vorstellungen von Verdis «Messa da Requiem», eine gemeinsame Arbeit mit dem Ballett Zürich, inszeniert und choreographiert von Christian Spuck.
2017 wurde Jürg Hämmerli nach 30jähriger, intensiver Tätigkeit am Opernhaus Zürich pensioniert. Sein Nachfolger Janko Kastelic trat sein Amt mit«Lohengrin» an – der Oper, die bei wichtigen Ereignissen in der Geschichte des Chors offensichtlich jedes Mal eine bedeutende Rolle spielt… Gemeinsam mit Ernst Raffelsberger führt Janko Kastelic nun die musikalisch differenzierte, logistisch anspruchsvolle, künstlerisch und menschlich äusserst befriedigende Arbeit mit dem «Zusatzchor Opernhaus Zürich» fort.
Start in die Zukunft
Der neue Verein nahm seine Aufgaben ab der Spielzeit 1993/94 in der neuen Formation wahr und war sofort nach den Sommerferien in den Werken «Macbeth» und «Lohengrin» zu sehen und zu hören, während der «Theater-Lehrerchor»- und der «Extrachor» in ihrer letzten Spielzeit noch eine dankbare Aufgabe, das Autodafé in der Neuinszenierung von «Don Carlo» und dazu die Paradepartien in «La Bohème», «Lohengrin» und «Carmen» erfüllen durften.
Der «Zusatzchor Opernhaus Zürich» sucht immer wieder neue Mitglieder, besonders Herren. Voraussetzungen für die Aufnahme sind das Bestehen einer Stimmprüfung sowie eine musikalische Grundausbildung. Nach einem Probenjahr kann dann die Mitgliedschaft im Verein beantragt werden.
© Markus Wyler, 2018